Das relativ grosse Format der Scheibe spricht dafür, dass diese für ein Fenster in einem öffentlichen Raum geschaffen wurde. Das einzige grössere Bauprojekt in Weinfelden in dieser Zeit war das 1607/08 neu erbaute Rathaus. Die Scheibe trägt zwar heute die Jahreszahl 1600, dabei handelt es sich aber um eine nach 1945 aufgetragene Retusche. Die alte Jahreszahl war damals offenbar noch knapp zu erkennen, es ist aber gut möglich, dass sie ursprünglich 1606, 1608 oder 1609 statt 1600 lautete. Im sogenannten “Schwarzen Büchlein”, Rechnungs- und Protokollbuch der Gemeinde Weinfelden (Bürgerarchiv Weinfelden) ist die Scheibenstiftung nicht verzeichnet. Auch wenn es denkbar wäre, dass die Scheibe an einen anderen Ort gestiftet wurde, so findet sich keine naheliegende Gelegenheit: in der Kirche Weinfelden sind in dieser Zeit keine Umbauten verzeichnet, und zu Klöstern besass die Gemeinde Weinfelden keine engeren Beziehungen. Für die nahe gelegenen Städte sind keine Stiftungen in dieser Zeit überliefert, mit Ausnahme des Hauses des Schultheissen Sebastian Engel, der 1600 sowie 1603 Scheiben der Stadt Stein am Rhein und von Bernhard Müller, Abt des Klosters St. Gallen erhielt (Hasler, 2010, S. 164; Knoepfli, Karteikarte “Frauenfeld”). Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich um die Scheibe handelt, die Weinfelden in das eigene, neu erbaute Rathaus stiftete (vgl. die Stiftung Ermatingens 1596 in das eigene Rathaus, TG_77).
Das Rat- und Kaufhaus von Weinfelden wurde 1607/08 neu erbaut (Lei, 1983, 333). 1608 stellten die Weinfelder an der eidgenössischen Tagsatzung ein Gesuch um Fenster mit Ehrenwappen. 1609 wurde vermerkt, dass die Mehrheit der Orte die verlangten Fenster bereits verehrt hat, die übrigen sollten sich bis zur nächsten Zusammenkunft ebenfalls entscheiden (Eidgenössische Abschiede, Bd. 5, S. 1399).
1823 wurden die Scheiben aus dem 1831 abgerissenen Rathaus an Oberamtmann Paul Reinhart, Besitzer des Scherbenhofs in Weinfelden, verkauft. 1829 vermeldete das Thurgauische Neujahrsblatt (S. 12), dass im Scherbenhof noch etliche vormals im Gemeindehaus Weinfelden vorhandene gemalte “Wappenfenster” zu sehen seien, so diejenigen der Städte Wyl, Frauenfeld, Zürich, Basel, Schaffhausen, Appenzell und Winterthur. Meyer zählt im Jahr 1888 (ohne Angabe seiner Quelle) noch weitere Scheiben im Scherbenhof auf: Ämterscheibe Zürich 1618, Standesscheibe Basel 1610, Standesscheibe Schaffhausen 1610, Standesscheiben von Unterwald, Schwyz und Zug, Stadtscheibe Frauenfeld 1623, Standesscheibe Appenzell 1617, Stadtscheibe Winterthur 1590, Stadtscheibe Wil 1606, Landschaftsscheibe Toggenburg 1597, St. Gallen 1623, Glarus 1610, Allianzscheibe Lorenz Scherb und Helene Schobinger 1647, Allianzscheibe Gideon Scherb und Margaretha Bridler (Meyer, 1888, S. 22–23; vgl. Keller, 1931, 172). Nach Meyer (1888, S. 22) sollen die Scheiben um 1843 von dort ins Hotel de Cluny in Paris gelangt sein. Im Musée de Cluny (Musée du Moyen Age) sind diese Werke aber schon 1983 (Das Rathaus Frauenfeld, 1983, S. 36) nicht nachweisbar (vgl. auch Boesch, 1945, S. 141).
Die Standesscheiben von Basel 1610, Schaffhausen 1610, Schwyz, Unterwalden und Zug trugen laut Meyer die Signatur J.(H?) M. Hug, die sich auf den Wiler Glasmaler Hans Melchior Schmitter, genannt Hug, beziehen muss. Auch die vorliegende Scheibe könnte von Hug stammen. So zeigt etwa dessen Wiler Stadtscheibe von 1602 (Stadtmuseum Wil; Boesch, 1949, S. 25) ähnlich steife Bannerträger und denselben etwas ungewöhnlichen Sockel im Hintergrund. Auf vielen seiner Scheiben sind wie bei der Weinfelder Scheibe sehr viele Figuren und Szenen dargestellt. Die nicht weiter begründete Zuschreibung Paul Boeschs (1945, S. 141) an Christoph Murer ist hingegen nicht haltbar.
Die Scheibe wird genannt in:
Galerie Fischer, 1930, S. 27, Nr. 229, Abb. T. XXI.
Boesch, 1945, S. 141–143, Abb.
Steiner, 1983, S. 39, Abb. 26 (Christoph Murer?).
Lei, 1983, S. 372, Taf.-Abb. nach S. 384.
Raimann/Lei/Knoepfli, 1984, S. 5 (Abb.).
Mühlemann/Raths, 1988, S. 52, Abb. S. 53.