Der aus Konstanz gebürtige Peter Schreiber (um 1540–25. April 1600) wurde im Kloster Kreuzlingen 1572 zum Dekan erwählt, und von 1584 bis 1598 wirkte er dort als Abt. Er amtete als Visitator in den Diözesen Mainz, Köln und Trier, wo er im Auftrag Roms für die strenge Einhaltung der klösterlichen Disziplin zu sorgen hatte. Als Altersschwäche resignierte er als Abt zwei Jahre vor seinem Tod (Schmutz/Stöckly, 2004, S. 289f.). 1585 gab er für sein Kloster ein Vortragekreuz in Auftrag (heute in der katholischen Pfarrkirche Rapperswil), und 1586 liess er einen gotischen Kelch erneuern, der sich heute in der Kirche St. Ulrich und Afra in Kreuzlingen befindet (Erni/Raimann 2009, S. 143f., 192, Abb. 103, 167).
Ein heute verschollener Scheibenriss, der sich 1931 im Kunsthandel (Pro Arte, Basel) befand, entspricht der vorliegenden Scheibe recht genau (31.50 x 20.5 cm; Foto im Schweizerischen Nationalmuseum, Inv. Nr. 28783; Erni/Raimann, 2009, S. 183). Da einige Details nicht übereinstimmen, war er vielleicht auch für eine andere Scheibe desselben Stifters bestimmt.
Das zwischen der Verkündigung angebrachte Wappen Kyburg verweist auf den Konstanzer Bischof Ulrich I. von Kyburg-Dillingen, der 1125 das Augustiner Chorherrenstift Kreuzlingen gegründet hatte. Das zweite, gevierte Wappen ist schwieriger zu deuten. Da es das Konstanzer Kreuz zeigt (Feld 1 und 4) ist es auch auf einen Konstanzer Bischof zu beziehen. Der aufgerichtete goldene Löwe in Rot steht nicht für Dillingen: dieses Wappen zeigt in Blau ein von je zwei Löwen begleiteter Schrägbalken (Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, 1921–34, Bd. 2, S. 723). In Frage käme am ehesten eine Darstellung des Wappens Gebhard III. (†1110). Dieser Bischof entstammte dem Geschlecht der Zähringer, deren Wappen seit dem 15. Jh. einen aufgerichteten goldenen Löwen auf rotem Grund zeigt (Bartlome, 2003, S. 44). Gebhard III. nimmt in der Gründungsgeschichte des Chorherrenstifts ebenfalls eine wichtige Rolle ein: nachdem die ursprüngliche Stiftung (in Konstanz) verfallen war, verlegte er diese nach Münsterlingen (Erni/Raimann, 2009, S. 66).
Die gleichen zwei Wappen finden sich ebenfalls auf der Scheibe von Abt Georg Strassburger (TG_140).
Um 1590 waren vor allem Wolfgang Breny aus Rapperswil und Caspar Spengler aus Konstanz für Thurgauer Auftraggeber tätig. Daneben sind auch signierte Glasgemälde von Tobias Erhart, Balthasar Federlin und Konrad Hareisen aus dieser Zeit erhalten, diese kommen jedoch aus stilistischen Gründen als Glasmaler der vorliegenden Scheibe nicht in Frage. In geographischer Hinsicht wäre es naheliegender, dass Spengler in Konstanz das Glasgemälde für den Kreuzlinger Abt schuf. In Spenglers Werk finden sich jedoch keine Aufträge aus klerikalem Umfeld noch Darstellungen von Heiligenfiguren. Breny hingegen war gesichert 1589 für den Abt von Fischingen (Rahn, 1890, Nr. 173) und nach 1600 wiederholt für das Kloster Einsiedeln (Wyss, 1946, S. 81–82) tätig. Seine Stadtscheibe Rapperswil (Rathaus Rapperswil, 1609) und seine Glasgemälde für die Klosterkirche Schänis (1611) sind bezüglich Komposition resp. Figurenstil und Schriftcharakter gut vergleichbar (Anderes, 1970, Abb. 231–233). Besondere Aufmerksamkeit verdient das Glasgemälde des Fischinger Abtes Jakob Walkmeister (TG_217). Aufgrund der Ähnlichkeit zur erwähnten Rapperswiler Stadtscheibe lässt sie sich ebenfalls Wolfgang Breny zuweisen. Sie ist 1595 datiert und weist neben stilistischen auch kompositorische Parallelen zu vorliegender Scheibe auf. Insbesondere fällt die entsprechende Gestaltung des vom Gesims umfassten Abtstabes auf.
Als ursprünglicher Bestimmungsort des Glasgemäldes kommt das 1595 errichtete Kapuzinerkloster in Frauenfeld in Frage. Das sogenannte Klösterli hatte sich an der Tagsatzung 1596 Fensterstiftungen der Eidgenössischen Orte erbeten (Eidgenössische Abschiede V, S. 1378, Art. 497 (1596); vgl. Knoepfli, 1950, S. 123). Sehr wahrscheinlich erhielt das Kloster anlässlich seiner Gründung auch Fenstergaben der umliegenden Klöster. Ein weiterer möglicher Bestimmungsort ist das ab 1589 wieder aufgebaute Klarissenkloster Paradies. Dessen Äbtissin ersuchte 1591 und 1592 ihre Schirmherren um Fenster und Wappen für den Kirchenneubau (Eidgenössische Abschiede V. I, 1387, 1388, Artt. 585, 587; vgl. Hasler, 2010, S. 296–297).
Die Scheibe wird genannt in:
Rahn, 1890, Nr. 209.
Heberle, 1891, Nr. 191.
Früh, 2001, S. 50.
Erni/Raimann, 2009, S. 183, Abb. 152.