Da die vorliegende Scheibe weder originale Inschrift, Wappen noch eine Datierung aufweist, ist ihre Einordnung in die Scheibenstiftungen in den Kreuzgang von Tänikon schwierig. Wappen und Inschrift wurden erst nach 1890 angefügt und beziehen sich auf die Äbtissin Sophia vom Grüth (†1579), unter deren Ägide die ersten Scheibenstiftungen erfolgten. Zwar weisen alle Tänikoner Scheiben ein eher ungewöhnliches, durch die Kreuzgangfenster bedingtes breites Format auf (ca. 30 x 48 cm). Ihre Komposition ist aber auch innerhalb der vom Glasmaler Niklaus Bluntschli stammenden Serie von 1558/1559 recht unterschiedlich. Da detaillierte Klosterrechnungen dieser Jahre fehlen, liefern die Quellen keine weiteren Informationen (vgl. Boesch, 1943, S. 14).
Die meisten der Tänikoner Scheiben basieren auf Vorlagen aus Albrecht Dürers “Kleiner Passion” (1508–11) oder aus dessen “Marienleben” (1502–1511) (vgl. Boesch, 1943). Für die vorliegende Darstellung der Hochzeit von Kana ist jedoch keine direkte Vorlage bekannt. Thematisch steht ihr nur eine Scheibe nahe, die im Schweizerischen Nationalmuseum befindliche Wappenscheibe des Johannes Zumbrunnen mit einer Darstellung der Speisung der Fünftausend (67/15; Schneider, 1971, Bd. 1, Nr. 316). Der Fussteil beider Scheiben ist zwar identisch gestaltet, jedoch handelt es sich bei der vorliegenden Scheibe dabei um ergänzte Stücke. Möglicherweise diente die Scheibe Zumbrunnen dem Restaurator als Vorlage für die verlorenen Stücke.
Johannes Zumbrunnen stiftete seine Scheibe im Jahr 1564/65 in seiner damaligen Funktion als Landvogt des Thurgau in das Kloster Tänikon. In den oberen Zwickeln halten je ein Krieger ein Schild mit dem Wappen Murer. Dies lässt vermuten, dass der damals vielbeschäftigte Zürcher Glasmaler Jos Murer (1530–1580) diese Scheibe schuf (Lehmann, 1932, 74). Murer signierte bereits 1559 eine Scheibe für den Tänikoner Kreuzgang: die im Schweizerischen Nationalmuseum befindliche Scheibe des Melchior Gallati (Dep. 3409; Schneider, 1980, 269). Aus stilistischen Gründen ist die vorliegende Scheibe ebenfalls mit Jos Murer in Verbindung zu bringen, zumal sie sich von den von Niklaus Bluntschli oder Hans Füchslin geschaffenen Scheiben für Tänikon stark unterscheidet (vgl. Boesch, 1943, 54). Die thematische Zusammengehörigkeit der im Johannesevangelium beschriebenen Hochzeit zu Kana und der Speisung der Fünftausend spricht für eine Datierung der vorliegenden Scheibe in die Jahre 1564/65, gleichzeitig zur Scheibe Zumbrunnen.
Der 1508 errichtete Kreuzgang des Zisterzienserinnenklosters von Tänikon mit seinen 22 Rundbogenfenster wurde in mehreren Etappen mit zahlreichen Glasgemälden ausgestattet. Eine erste Serie datiert in die Jahre 1558/1559. Die meisten dieser rund 20 Scheiben sind vom Zürcher Glasmaler Niklaus Bluntschli signiert. Eine einzelne Scheibe trägt das Monogramm Jos Murers.
Die zweite Serie stammt aus den Jahren 1563–1565 und umfasst mindestens 5 Scheiben. Eine davon trägt das Monogramm des Glasmalers Hans Füchslin. In den Jahren von 1585–1610 wurden weitere 11 Scheiben gestiftet. Nach 1610 gelangten weitere Glasgemälde nach Tänikon, die dort allerdings nicht mehr im Kreuzgang, sondern andernorts zur Aufstellung kamen (u.a. im Refektorium) (Rahn/Nater 1906, S. 17f., 426–439; Boesch, 1943).
Insgesamt 37 Scheiben aus dem Kreuzgang von Tänikon kaufte 1832 Johann Nikolaus Vincent aus Konstanz, in dessen Sammlung sie bis 1891 verblieben. In diesem Jahr verkauften Vincents Erben die Sammlung, und heute sind die noch auffindbaren Tänikoner Scheiben auf mehrere Institutionen verteilt (Schweizerisches Nationalmuseum, Historisches Museum Thurgau, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Musée Ariana Genf, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Museum Heylshof Worms, Historisches Museum Luzern).
Die Scheibe wird genannt in:
Rahn, 1890, Nr. 82.
Heberle, 1891, Nr. 76.
Rahn/Nater, 1906, S. 17f., 426–439, spez. S. 435, Nr. 27.
Boesch, 1943, S. 54, Abb. 48.
Knoepfli, 1950, S. 399.
Früh, 2001, S. 78.
Zehnder, 1992, S. 25, 95–103 (Nr. 29).