Heinrich Rudolf Stäuble wurde am 17. Mai 1926 in Luzern geboren. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie zurück nach St. Gallen in das Quartier St. Georgen. Stäubli wuchs in St. Georgen auf und besuchte dort die Regelschule. Das Lehrpersonal wie auch er selbst stellten früh fest: «die Farbe [erwies sich] als eine für mich besonders starke Empfindung / Folgerichtig entschied diese Begabung dementsprechend einen Beruf zu wählen.» So schrieb sich der etwa Fünfzehnjährige an der Kunstgewerbeschule St. Gallen (heute Schule für Gestaltung) für die Schuljahre 1941/42 ein und besuchte Kurse, wahrscheinlich im Bereich Textilentwerfen sowie beim Maler und Glasmaler Alfred Staerkle (1883–1962). Ursprünglich schien Stäubli Textilzeichner werden zu wollen, doch dann schnupperte er im Betrieb des St. Galler Glasmalers Andreas Kübele und entschied sich für diese Ausbildung. Stäubli blieb weit über die vierjährige Lehre (ca. 1943–47) im Atelier Kübele tätig, insgesamt wohl rund fünfzehn Jahre.
Stäuble begann früh, den Künstlernamen «Stäubli» anzunehmen und seine Arbeiten entsprechend zu signieren. Als Heinrich Stäubli wurde er bereits auf seiner ersten Ausstellung 1953 in der damals impulsgebenden Galerie Gotthard in St. Gallen angekündigt, wo er neben Rolf Meyerlist (1913–1990) Malerei wie auch Glasmalerei ausstellte. Erst im hohen Alter unterzeichnete er freie künstlerische Arbeiten vermehrt mit seinem eigentlichen Nachnamen «Stäuble». 1953 verlobten sich Heinrich und Paula Steuble (1930–2016). Beide kannten sich seit Kindestagen und waren nachbarschaftlich in St. Georgen aufgewachsen. Trotz der Verlobung zog es Stäubli, damals bei Kübele angestellt, 1953 oder 1954 für einen kurzen Studienaufenthalt mit einem Freund nach Paris, einem wichtigen Drehpunkt der europäischen Kunstszene und einer Stadt mit engen textilwirtschaftlichen und künstlerischen Beziehungen zu St. Gallen. Dort besuchte Stäubli Kurse im Aktzeichnen, mehr ist über den Aufenthalt nicht bekannt. 1955 heirateten Heinrich und Paula. Paula übernahm die finanzielle Organisation des Ateliers Stäubli auf Basis ihrer kaufmännischen Ausbildung und zog so zeitlebens im Hintergrund die Fäden.
1955 eröffnete eine Ausstellung mit Stäublis Glasarbeiten auf Schloss Arbon (heute Historisches Museum) im Thurgau. Referent war der Schweizer Verleger, Kunstkritiker und Sammler Albert Graf-Bourquin (1909–2001), der Stäubli über die Jahrzehnte verbunden blieb. 1956 nahm Stäubli an der Schweizerischen Kunstausstellung Basel teil, die in der Baslerhalle der Schweizer Mustermesse gezeigt wurde und Arbeiten zum Kauf anbot. Der Künstler war in der Sektion Malerei mit drei Glasarbeiten vertreten, Ausgestossener Engel (unverkäuflich), Diogenes (750 Fr.), und Ungeniessbarer Fisch (650 Fr.) (Schweizerischer Kunstverein, 1956, S. 26). Zwei dieser Arbeiten befinden sich heute in der Sammlung des Vitromusée Romont (VMR_999 und VMR_996).
1958 verliess Stäubli den Betrieb Kübele und gründete sein eigenes Atelier an der Zürcherstrasse 84 in St. Gallen. Während die Familie Stäuble das erste Obergeschoss bewohnte, teilte sich Stäubli im Erdgeschoss den Arbeitsplatz mit dem Bildhauer und Schlosser Bruno Stoeckli. Wie Stempel und Briefpapier aus dieser Zeit dokumentieren, hiess das Atelier schlicht «Heinrich Stäubli». Im selben Jahr wurden Stäublis Glasmalereien und Glasmosaike (Betonverglasungen) in der Ausstellung Junge Ostschweizer Künstler im Kunstverein St. Gallen gezeigt, neben Künstlern wie Alfred Kobel (1925–2011) und Karl Tschirky (1931). Die von Stäubli ausgestellten Arbeiten datieren bis 1953, womit, zusammen mit Werken aus dem Nachlass nachgewiesen ist, dass er bereits während seiner Tätigkeit im Atelier Kübele eigene freie Arbeiten in Glas und auf Papier realisierte.
1959, nur ein Jahr nach Eröffnung des eigenen Ateliers, erhielt Heinrich Stäubli neben fünf weiteren Kunstschaffenden den Anerkennungspreis der Stadt St. Gallen «zur Förderung seines künstlerischen Schaffens als Glasmaler» in Höhe von 1'000 Franken und damit breitere öffentliche Sichtbarkeit. Sitzungsprotokolle zeigen, dass ihn Dr. Klaus Ammann (1917–2007), Redaktor der katholisch geprägten Zeitung Ostschweiz vorgeschlagen hatte. Bis heute ist Stäubli der einzige Glasmaler, der mit diesem Preis bedacht wurde.
In dieser Zeit folgten grosse Aufträge und Stäubli gestaltete 1959 einen siebzehnteiligen Fensterzyklus für die Kirche St. Nikolaus in Altach, Vorarlberg, Österreich. Im selben Jahr wurde Tochter Barbara geboren, 1961 und 1963 folgten die Söhne Dominik und Andreas. Das Atelier Stäubli führte auch die monumentale Chorverglasung der Kreuzkirche in Wil (1963) nach dem Entwurf von Alfred Kobel aus. Im Jahr darauf gestaltete Stäubli mehrere Wappenscheiben für den Sitzungssaal der Gemeindeverwaltung im Rathaus Goldach. Ab 1965 nahm Stäubli regelmässig an den St. Galler Kunstausstellungen der GSMBA teil, deren Mitglied er ab etwa 1960 bis 1992 war. In den frühen 1960er-Jahren begann Stäubli ebenfalls Auszubildende der Glasmalerei und Kunstglaserei aufzunehmen und zu betreuen. Ernst Holenstein (1946) begann als Erster seine Ausbildung im Atelier (1961–1964). 1973 trat Stäubli in den Schweizerischen Werkbund (SWB) ein und nahm bis zu seinem Austritt 1996 immer wieder an Ausstellungen in der Ostschweiz und in Vorarlberg teil.
Im Oktober 1995, im Alter von 69 Jahren, übergab Stäubli den Betrieb an seinen ehemaligen Auszubildenden und langjährigen Mitarbeiter Ernst Holenstein. Dieser übernahm nach 34 Jahren im Atelier die Geschäftsleitung und führte den Betrieb unter dem Namen «Stäubli Glasmalerei» weiter wie Atelierstempel und Briefpapier aus dieser Zeit zeigen. Heinrich Stäubli widmete sich bis zu seinem Tod im Jahr 2016 insbesondere eigenen freien Entwürfen im Bereich der Malerei. Daneben führte er kleinere (gebrauchs-)grafische Aufträge aus, beispielsweise für die Kirchgemeinde St. Otmar. Dennoch entstand auch in dieser Zeit noch die ein oder andere glasmalerische Arbeit, die Stäubli entwarf und Holenstein in Glas ausführte, so beispielsweise zwei weitere Fenster für den Kreuzgang des Klosters Magdenau und die umfangreiche Neugestaltung der Reformierten Kirche Engelburg mit Verglasungen und Wandmalereien. Im Jahr 2005 löste Holenstein den Glasmalereibetrieb endgültig auf, Stäubli behielt jedoch sein Atelier im Linerhof bis zu dessen Abbruch im Jahr 2012.
Mit Unterstützung der Familie Stäuble fanden ab 2000 mehrere Ausstellungen im Pfarreizentrum St. Otmar, im Waaghaus in St. Gallen, in der Reformierten Kirche und der Alten Turnhalle in Engelburg und auf Schloss Dottenwil statt, um Heinrich Stäublis Œuvre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die Ausstellungen zeigten stets freie künstlerische Arbeiten in Grafik und Malerei in Kombination mit Glasmalerei und Betonverglasungen. Heinrich «Stäubli» Stäuble verstarb am 1. Mai 2016 nach einem kurzen Aufenthalt im Pflegeheim St. Otmar, weniger Tage vor seinem 90. Geburtstag und zwei Monate vor seiner Frau Paula.
Ein von Vitrocentre Romont, Universität Bern und Kanton St. Gallen Kulturförderung / Swisslos getragenes Forschungsprojekt untersuchte Werk und Nachlass von Heinrich Stäubli von September 2020 bis Juni 2022. Ergebnisse sind u.a. eine Monografie zum Atelier Stäubli (Hindelang, 2022), wie auch die im Vitromusée Romont gezeigte Ausstellung L’atelier Stäubli et le vitrail moderne de Saint-Gall (26.6.–9.10.2022).
Der grafische Nachlass Heinrich Stäublis und des Ateliers Stäubli befindet sich seit November 2020 im Vitromusée Romont. Blei- und Betonverglasungen, Malerei und Grafik von Heinrich Stäubli befindet sich in der Sammlung des Vitromusée Romont, des Landesmuseums Zürich, der Kunstsammlung der Stadt St. Gallen, der Rathaus-Galerie in Goldach und im Besitz zahlreicher Privatpersonen.
Der grafische Nachlass Stäublis umfasst auch Entwürfe für Einzelscheiben anderer Künstler, darunter von Josef Ammann (*1934 Gähwil, SG), Jost Blöchliger (1934–1989, SG) und Meinrad «Mädy» Zünd (1916–1998, SG). Architekturgebundene Glasmalereien im Kanton St. Gallen, die das Atelier Stäubli nach Entwürfen anderer Künstler ausgeführt hat, befinden sich unter anderem hier: Katholische Kirche St. Georgen, Fensterzyklus Westwerk (Albert Schenker 1899–1973, undatiert); Kreuzkirche Wil, Chorfenster (Alfred «Fredi» Kobel, 1963); Regionales Pflegeheim Romanshorn (Emil Hungerbühler, 1988/89); Kirche Muolen, Chorfenster (Walter Burger, 1999). Es ist davon auszugehen, dass es noch weitere Arbeiten gibt.
Hindelang, L. (2022). Glaskunst am Bau und Intermedialität. Das Atelier Stäubli in St. Gallen. Glaskunst – Ausstellungen des Vitromusée Romont. Berlin/Boston: De Gruyter.
Hindelang, L. (2022). Das Glasmaleratelier Heinrich Stäubli. Zwischen St. Galler Werkstatt und Glaskunst am Bau im Thurgau. In Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau (Hg.), Licht- und Farbenzauber – Glasmalerei im Thurgau. Denkmalpflege im Thurgau 23. Basel: Schwalbe, 134–141.
Schweizerischer Kunstverein (Hg.) (1956). Schweizerische Kunstausstellung Basel [Ausstellungskatalog, Basel, Schweizer Mustermesse, 2.6.–15.7.1956], Schweizerischer Kunstverein.