Bei dieser Scheibe handelt es sich um ein Probefeld für das grosse Fenster, das der französische Künstler Alfred Manessier 1976 für die Heiliggrabkapelle der Kathedrale von Fribourg geschaffen hat. Wer diese um 1430 entstandene Kapelle besucht, ist unweigerlich beeindruckt von der Farbentiefe und der Wirkung von Manessiers Werk und dem hervorragenden Zusammenspiel von moderner, abstrakter Glaskunst mit der aus dem ausgehenden Mittelalter stammenden monumentalen Grablegungsgruppe.
Passend zur Figurengruppe stellt Manessiers Fenster die Karfreitagsnacht dar. Nachdem Christus am Karfreitag am Kreuz verstirbt, sticht ihm ein römischer Soldat mit einer Lanze in die Seite, worauf Blut und Wasser herausströmen. In der Nacht wird Christus in einem Felsengrab bestattet. Manessiers Farbensymbolik verbildlicht diese Zusammenhänge: Das rote Blut Christi wird in der dunkelblauen und düsteren Karfreitagsnacht vergossen. Gleichzeitig steht das Blau der Nacht auch für Klarheit und Unendlichkeit. Die violetten Farbtöne, die immer wieder das Blau durchziehen, stehen für die Passion Christi und in der Liturgie für Entsagung und Schmerz (Trümpler 1993). Die türkisfarbenen und grünen Glasstücke, die an einigen Stellen einen zarten Schleier in das dunkle Blau bringen, deuten die Hoffnung an, die mit der Auferstehung Christi an Ostern folgt. Insgesamt kann Manessiers Werk als Allegorie einer für das gesamte Christentum essentielle Bibelstelle angesehen werden: «Gott ist Licht» (1 Joh 1,5).
In der Kapelle gibt es noch ein zweites, schmaleres Fenster von Manessier. Dieses befindet sich linkerhand der Karfreitagsnacht und weist – ebenfalls mit der Betonung auf die Horizontale – wesentlich hellere, hauptsächlich hellblaue und gelbe Farbpartien auf. Der untere Saum besteht aus grünen Farbgläsern. Es verweist in seiner Helligkeit auf den Ostermorgen.
Wie Manessier anlässlich der Einweihung seiner Fenster sagte, wollte er die intensive Situation und die besondere Verbindung der 13 Figuren der Grablegungsgruppe darstellen. Er bezeichnete sein Werk dabei als «Begleitthema». Dies mag der Grund dafür sein, dass seine abstrakten Fenster nicht fremd in einer Kapelle des 15. Jahrhunderts wirken.
Die kirchlichen Entscheidungsträger von Fribourg wünschten, dass Manessier mit dem ortsansässigen Atelier von Michel Eltschinger zusammenarbeitet. Das erste Treffen fand 1975 statt und wohl noch im gleichen Jahr entstanden die Probescheiben für das Fenster, das die Karfreitagsnacht zeigt. Eine dieser Scheiben, die untere rechte Ecke, wurde 1976 vom Künstler signiert und zeigt die untere rechte Ecke des Fensters.
Für die Kathedrale von Fribourg schuf Manessier in den nächsten Jahren noch weitere Fenster: 1980 bis 1983 entstanden die Fenster des Hochschiffs und im Jahre 1988 die Rose der Westfassade.
Manessier bevorzugte seit 1943 – und seit einem spirituellen Rückzug nach Soligny, den er später seine «Bekehrung» nannte – Abstraktion als Ausdrucksweise für seine Kunst. Denn, so formulierte der Künstler, die figurative Darstellung erlaube es ihm nicht mehr, sich dem Wesentlichen und der Wahrheit zu nähern.
inv. MAHF 2006-341