Forschung
Die evangelische Kirche St. Johann in Frauenfeld-Kurzdorf wurde 1915–16 durch die Architekten Brenner & Stutz an Stelle eines älteren Kirchleins erbaut. Aufgrund der schwierigen Zeitlage wurde sie als schlichter Bau im Heimatstil geplant, jedoch mit wirkungsvollen, durch private Spenden finanzierte Glasmalereien ausgestattet. Ernst Linck in Bern gestaltete die Apsis- und die Schifffenster, während Otto Abrecht in Frauenfeld eine Darstellung der alten Kirche sowie Stifterwappen für die Fenster unterhalb der Empore entwarf.
Lincks Glasmalereien umfassen die Darstellung von Christus und je zwei Figuren aus dem alten und neuen Testament in den fünf Apsisfenstern, sowie acht Szenen aus dem Leben Christi in den Schifffenstern. Lincks im Kirchgemeindearchiv erhaltenen Briefe an die damals zuständigen Pfarrer J. Meier und O. Moppert geben im Detail Auskunft über den Auftrag. Aus ihnen geht hervor, dass die Apsisfenster je 600 Franken kosteten, und dass erst Darstellungen der vier Evangelisten in Betracht gezogen wurden, bevor sich die Auftraggeber für Bildnisse der Propheten Moses und Elias, und der Apostel Peter und Paul entschieden (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld, 20 Kirche Kurzdorf 1899–1950, Glasgemälde Chor und Schiff 1915; Brief Linck an Pfarrer Meier vom 18.11.1915). Linck schickte die ersten Entwürfe für die Chorfenster Ende 1915 nach Kurzdorf (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld, 20 Kirche Kurzdorf 1899–1950, Glasgemälde Chor und Schiff 1915; Brief Linck an Pfarrer Moppert vom 29.12.1915). Einzig die ausdrucksstarke Geste des Elias befriedigte offenbar nicht, und nach Vorliegen des zweiten Entwurfs für dessen Bildnis wurde dieses kurzerhand als Abraham umgedeutet (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld, 20 Kirche Kurzdorf 1899–1950, Glasgemälde Chor und Schiff 1915; Brief Linck an Pfarrer Moppert vom 6.7.1916. Siehe auch die Entwürfe Lincks in der Schweizerischen Nationalbibliothek, GS-LINCK-A-1-b-1-28 bis A-1-b-1-33, A-1-b-1-54).
Erschwert wurde die Arbeit des Künstlers durch seine Wehrpflichtigkeit in Deutschland. Seit Kriegsbeginn war er bereits mehrmals eingerückt, zwecks Vollendung seiner Arbeiten aber jeweils nach Hause beurlaubt worden. Bis zum Abschluss der Arbeiten für die Kirche Frauenfeld-Kurzdorf musste Linck mehrere Urlaubsverlängerungen beim Kaiserlich deutschen Konsulat in Bern und später in Lörrach beantragen und bat in dieser Angelegenheit auch die Kirchenbehörde mehrfach um Unterstützung. Aus der Korrespondenz geht ausserdem hervor, dass die Art der Stiftererwähnung sowie die mögliche Patinierung der Schiffenster Anlass zu Diskussionen gab, letztere wurde schliesslich zugunsten von ornamentalen, durch Linck entworfene Bordüren, aufgegeben (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld; Rechnung Linck vom 17.1.1917).
Gegen den Vorschlag, seine Entwürfe durch Jakob Lieberherr, einen Frauenfelder Glasmaler umsetzen zu lassen, wehrte sich Linck entschieden. In einem ausführlichen Gutachten zu Lieberherrs Arbeiten bescheinigt er dem Glasmaler mangelnde Erfahrung in der Ausführung von Kirchenfenstern sowie fehlende Kenntnisse der neueren Entwicklungen in der Glasmalerei. Linck empfiehlt stattdessen Kirsch u. Fleckner in Freiburg, welche unter anderem Fenster im Bundeshaus in Bern und in der Kathedrale in Freiburg ausgeführt haben und mit denen er bereits mehrfach zusammengearbeitet hat: “Ich kann mich daher nicht anschliessen meine Arbeiten anderswo als bei Kirsch u. Fleckner ausführen zu lassen” (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld, 20 Kirche Kurzdorf 1899–1950, Glasgemälde Chor und Schiff 1915; Bericht Lincks über die Arbeiten von Glasmaler Lieberherr vom 23.12.1915). Aufgrund der vehementen Stellungnahme Lincks wurde die Ausführung seiner Entwürfe an Kirsch u. Fleckner übertragen, während Lieberherr nur die Umsetzung der Blankverglasung und der Ornamentbordüren der Schifffenster, sowie der von Abrecht entworfenen Wappenscheiben übernehmen durfte (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld; Rechnung Lieberherr vom 2.1.1917).
Linck erwähnte gegenüber Pfarrer Moppert, dass seine für Kurzdorf entworfenen Glasmalereien in ihrer farbigen Erscheinung in der Schweiz einzigartig sein dürften (Evang. Kirchgemeindearchiv Frauenfeld, 20 Kirche Kurzdorf 1899–1950, Glasgemälde Chor und Schiff 1915; Brief Linck an Pfarrer Moppert vom 8.9.1916). Da sich die Fertigstellung des Kirchenbaus verzögerte, nutzte der Künstler die Gelegenheit, ein Apsisfenster (Moses) und sechs Szenen aus dem Leben Christi vor dem Transport nach Kurzdorf im Gewerbemuseum Bern auszustellen. In der Tagespresse fanden die Arbeiten Beifall, eine “moderne Vereinfachung” und ein “ganz neuer Geist in der Glasmalerei” wurden darin festgestellt, die Zusammenstellung der kräftigen, leuchtenden Farben und die überzeugenden Kompositionen der Bildszenen hervorgehoben (Der Bund vom 28.9.1916, S. 3 und Berner Tagblatt vom 26.9.1916). In der Tat hatte man mit Linck einen “neuzeitlich schaffenden Fachmann der Glasmalerei” engagiert, der die Eigenheiten des Mediums berücksichtigte: “Er liefert keine Ölgemälde in Kartons, die der Techniker hernach durch ein hochnotpeinliches Aufteilen und in Bleifassen erst zu Glasfenstern umwandeln muß. Schon seine ersten Farbskizzen rechnen mit der Verteilung von hellen und dunklen Gläsern; sie stellen ab auf eine möglichst reine Flächenwirkung” (Röthlisberger, 1917, S. 119, 121). Lincks Glasmalereien in Frauenfeld-Kurzdorf zählen zu den frühesten nicht mehr dem Historismus verpflichteten Beispielen im Kanton Thurgau und künden die schon bald von Künstlern, Architekten und Intellektuellen geforderte Erneuerung der Kirchenkunst an.
Datierung
1916
StifterIn
Meier, J., Dekan · Moppert, O., Pfarrer
Eigentümer*in
Evangelische Kirchgemeinde Frauenfeld